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Oasenstadt Buchara, Moschee im Sonnenuntergang

Meine Reise nach Usbekistan: Von Perlen der Seidenstraße bis Milizenwillkür

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Eine wahre Reise ist eine Reise ins Ungewisse, ein Abenteuer – ein Bericht über Neugierde, Überwinden von Angst und ein faszinierendes Land:

Usbekistan. Langsam lasse ich mir das Wort auf der Zunge zergehen.
Usbekistan. Seidenstraße. Das schmeckt nach Wüsten-Oasen, Kamelkarawanen, Farbenfrohen Basaren und Exotik.
Es ist genau dieses Bild, das gerne von Reiseanbietern verkauft wird. Und keine Frage: es ist auch das, was man in Usbekistan findet!

Die Oasenstädte und ehemalige Khanate Chiwa und Buchara strahlen den Glanz längst vergangener Epochen aus. Die prächtigen Moscheebauten von Samarkand mit den grün und blau leuchtenden Kuppeln lassen atemlos staunen. Und die Hauptstadt Taschkent lockt mit seiner imposanten Metro, dem modernen Ilkhom-Theater und diversen Clubs.

Usbekistan ist aber auch: ein Land zwischen Polizeistaat und Internet-Moderne, zwischen Armut und Präsidenten-Reichtum, zwischen routiniertem Misstrauen und alltäglicher Lebensfreude.

Zwischen Neugierde und Schreckensszenario

Das Blut pulsiert in meinen Adern, das Herz pocht als wolle es mir gleich aus der Brust springen – die Augen des Milizionärs starren mich fordernd an…
Die Entscheidung in einer EZ-Organisation zu arbeiten fällt sehr schnell. Kaum von der KRIM zurückgekehrt, der Koffer nicht einmal richtig ausgepackt, geht es schon wieder weiter. Ein mulmiges Gefühl hab ich trotz Vorfreude schon: Es ist 2008 und das Wüten der Taliban noch zu sehr in den Köpfen verankert. Als Nachbarland Afghanistans ist Usbekistan daher nicht wirklich ein naheliegendes Reiseziel.

Das Flugzeug befindet sich im Sinkflug: von meinem Fensterplatz aus habe ich Aussicht auf sandiges Weiß und steiniges Rot der usbekischen Wüsten. Die Oasenstäde Buchara und Chiwa stechen wie kleine farbige Tupfer aus dem kargen Bild, das sich mir bietet.
War es die richtige Entscheidung hierherzukommen? So ganz ohne Planung, ohne Berücksichtigung der Sicherheitsbedenken? Das ratlose Kopfschütteln meiner  Familie verunsichert mich: “Warum um Himmels Willen ausgerechnet Zentralasien? … wozu?”

Schon seit ein paar Stunden habe ich keine europäische Sprache mehr gehört – um mich herum fremdes Sprachgemurmel. Ich, der einzige blonde Haarschopf. Es ist so ähnlich wie beim Schnorcheln unter Wasser. Man taucht ein in eine ganz andere Welt. Man lässt sich von der Strömung treiben, alle Geräusche klingen gedämpft und haben keine Bedeutung für mich. Es ist ein Gefühl der schwerelosen Freiheit. – Aber auch eines der Orientierungslosigkeit, die leicht in Angst umschlagen kann.
Nervös steige ich in der Morgendämmerung die Stufen der Boardingtreppe der AirUzbek-Maschine hinunter. Warme Luft, die leicht nach Benzin und verbranntem Müll riecht, schlägt mir entgegen.

Mit jedem Schritt, dem ich den Flughafenhallen näher komme, krampft sich mein Magen mehr zusammen. Die Geschichten, die ich über das autoritäre Regime und die Willkür der Milizen gehört habe, hallen in meinen Ohren nach. Und die Mail, in der mich mein zukünftiger Vorgesetzter vor der Schikane durch die Flughafen-Milizen und vor dem „chaotischsten Flughafen der Welt“ warnt, spielt eine Endlos-Schleife in meinem Kopf. Mit jedem Schritt wirkt das Flughafen-Gebäude bedrohlicher. Die grimmigen Gesichter der Milizen und die furchteinflößend übergroßen militärischen Mützen machen es nicht besser.
Auch wenn ich die Sprache der anderen Fluggäste nicht verstehen kann, so fällt mir doch ihre veränderte Körperhaltung auf: Sie wirken angespannt, die Köpfe leicht gesenkt – als würde es helfen nicht gesehen zu werden – die Stimmen werden unmerklich leiser.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Vor mir werden Leute aus der Menge gezogen.
Schlagstöcke hämmern ungeduldig gegen uniformierte Schenkel.
Milizen fordern Formulare, von deren Existenz die Betreffenden noch nie gehört haben.
Panik macht sich in mir breit.

Man hatte mir eindrücklich Instruktionen gegeben was ich tun bzw. möglichst unterlassen sollte wenn sie mich aus der Menge ziehen und mich um Geld erpressen wollen. Vor mir muss ein Passagier seinen Koffer öffnen, alles wird durchwühlt und sogar der Fotoapparat nach subversiven Fotos durchsucht, die Milizen bellen den immer unsicherer werdenden Mann herrisch an.
Verzweifelt versuche ich mich zu erinnern. Aber da ist nichts außer Müdigkeit und Panik. Bald bin ich an dem Kontrollpunkt an der Reihe.

Schließlich tue ich das einzige, das mir einfällt: ruhig atmen und lächeln.
„Assalomu alaykum“, sage ich, „Ismim Viktoria“ – „Guten Tag, ich heiße Viktoria“ Bescheuert! denke ich im selben Augenblick wie ich es sage.
Doch zu meiner Überraschung hellt sich das grimmige Gesicht des Milizionärs auf. Erstaunt fragt er: „Du kannst usbekisch sprechen?“ und lässt dann einen begeisterten Wortschwall auf mich niederprasseln.
„Men talabam“ – „Ich bin Studentin“ antworte ich und erkläre entschuldigend auf Russisch, dass ich nur sehr wenig auf USBEKISCH sagen kann, da ich erst begonnen habe die Sprache zu lernen. Der Milizionär ist dennoch begeistert und als ich sage, dass ich aus Deutschland komme, kennt seine Freude keine Grenzen mehr. Er erzählt mir von seiner Schwester, die mit ihrem Mann in Frankfurt lebe, und dass ein Onkel während der Sowjetzeit in der DDR gedient habe. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte seinen Geldbeutel mit den Familienfotos gezückt, da bin ich mir sicher. Nach mehrmaligem Betonen wie toll er es findet, dass ich seine Muttersprache lernen möchte, winkt er mich durch und wünscht mir einen schönen Aufenthalt in Usbekistan.

Usbekistan: eine Reise wert – die Perlen überwiegen!

Das was sich bei der Ankunft im Flughafen abgespielt hatte, war nur ein Vorgeschmack dessen was mich die nächsten Monate erwarten würde – um es vorweg zu nehmen: Das Leben in Usbekistan war so ambivalent wie die Ankunft und einfach einmalig.
Es war begleitet von einem allwachenden Geheimdienst, Milizen und Polizeikontrollen an jeder Ecke, von geheimen Diskussionen im Flüsterton und von routiniertem Misstrauen.

Doch noch heute, so viele Jahre später, denke ich mit einem Lächeln zurück an diese Monate in diesem faszinierenden Land.

Bereichert von den Aufenthalten in den Oasenstädten Buchara und Chiwa, Ausflüge ins Nuratau-Gebirge und nach Karakalpakstan, Kamelritt durch die Kizilkum-Wüste, den farbenfrohen prächtigen Moscheen, durchtanzte Nächte in den Clubs von Taschkent und Samarkand.

Entscheidend geprägt aber war es von den bewegenden Begegnungen mit den Menschen dort: seien es Usbeken, Tadschiken, Russen, Kasantataren, Krimtataren, usbekische Koreaner oder Inder – EZ-Mitarbeiter, Taxifahrer, Beamte, Basarverkäufer, Studenten oder Akademiker.

Ich habe so viele sympathische Menschen getroffen, so viele Freunde gefunden, Stunden des Lachens, tiefsinnige Gespräche, durchtanzte Nächte verbracht, dass ich immer, wenn ich von Bord eines Flugzeuges gehe, und den warmen Luftzug gepaart mit Benzin und Abfall rieche, tief einatme und denke „Ah, Zentralasien! Ich bin zu Hause“.

Eine Reise nach Usbekistan lohnt sich auf jeden Fall!   Für die Planung der Reise schaut doch mal auf aworldkaleidoscope vorbei.

Nachtrag: Wer einen Einblick in die politisch geprägte Lebenswelt der Bevölkerung Usbekistans erhaschen möchte, dem sei der neueste Artikel (September 2017) der Zentralasienanalysen empfohlen. Hier wird ein Resümee des ersten Amtsjahres des neuen Präsidenten gezogen – und allein schon die Auflistung der „Reformen“ zeigt deutlich wie die Lebenswirklichkeit in Usbekistan die letzten Jahre ausgesehen hat…

Der besondere LESE-TIPP: das Onlinejournal NOVASTAN, ein deutsch-französisches Journalismus-Projekt, das in Zusammenarbeit mit einheimischen Journalisten ein reales, unabhängiges Bild vom Leben in den zentralasiatischen Regionen zeichnen möchte.

Wie hast du Usbekistan erlebt? Was war dein eindrücklichstes Erlebnis?

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