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Forschungsjournal für Feldforschungsnotizen

Mysterium Ethnologie – Ethnologie als Beruf?

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Sich mit der Machete durch den Dschungel schlagen, auf den Spuren eines ursprünglichen Naturvolkes, geheimnisumwobene Rituale erforschen – dem Mysterium der Menschheit auf die Spur kommen… oder doch nicht??

„Ethnologin…?“ – Stirnrunzeln, gefolgt von Stille. Das Hochziehen der Augenbrauen spricht Bände: Die Frage „Was ist das und wozu ist das gut?“ schwingt unüberhörbar mit.

„Beruf Ethnologie“ ist für viele immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Während die einen ratlos dreinblicken haben andere die Vorstellung von Abenteuern im Dschungel à la Indiana Jones oder von in Museen ausgestellten Holzmasken, Baströcken und Voodoopuppen. Ganz spannend, fragen sich viele, aber wozu soll das gut sein??

Nun lüften wir das Geheimnis und bieten einen kleinen Blick hinter den Schleier des Unbekannten: Das große Mysterium Ethnologie

Ethnologie ist dem griechischen Wortursprung zufolge die Lehre der “Fremden (Völker)“ (und hier geht das Dilemma schon los – denn “Volk” ist ein Unwort ersten Grades in der ethnologischen Wissenschaft).
Diese Lehre befasst sich mit Gesellschaften und “Kulturen” (auch hier, meine Freunde, ist Vorsicht geboten – “Kultur” ist ein Unwort zweiten Grades… … wie ihr seht bewegen wir uns mit jedem Wort auf halsbrecherischem Glatteis – was wohl der Grund dafür sein mag, dass sich Ethnologen selten in der Öffentlichkeit zu Wort melden oder ihre Schriften für den Normalsterblichen kaum zu verstehen sind).

Ethnologie ist vor allem eines: Vielfalt

Wie leben Menschen in anderen Erdteilen?
Wie organisieren sie ihre Gemeinschaft ?
Wie leben sie ihren Glauben? Welche Rituale haben sie?
Mit welch ausgefeilten (Handwerks- und Ingenieurs-) Techniken gehen sie mit geographischen und klimatischen Herausforderungen um?
Nach welchen Werten und Regeln orientieren sie ihr Handeln? 

Wie beeinflussen Geographie und Klima die Kultur und soziale Struktur einer Gemeinschaft ?  Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Sprache und Denkstruktur?
Was hält eine Gesellschaft zusammen? Wie wird mit Konflikten umgegangen?

Und welche allgemeinen Aussagen kann man dadurch über die Menschheit als solches treffen? 

… das sind die Schlaglichter auf die traditionellen Kernelemente von ethnologischer Forschung.

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Ethnologie & konkrete Forschung im Feld:

„…betrachteten sie mich als ein durch Tabakschenkungen abgemildertes Übel oder Ärgernis“

Immer dabei: Notizbuch und Stift. Heutzutage darf auch der Laptop nicht fehlen. Alles wurde / wird notiert und bis ins kleinste Detail beschrieben, gezeichnet und fotografiert. Nichts war und ist vor Ethnologen sicher.
Masken, Mythen, Rituale, Sprache, Gesänge, Gebete, Waffen, Hausbau, Ökonomie, Verwandtschaftsbeziehungen, ja selbst sexuelle Praktiken wurden bis ins kleinste beleuchtet. Man wollte wissen: wie und aus welch tieferem Sinn machen “die anderen” das?

Bronislaw Malinwski - Vater der Feldforschung & Teilnehmenden Beobachtung

Bronislaw Malinwski – Vater der Feldforschung & Teilnehmenden Beobachtung

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Sag mir welches Werkzeug du benutzt und ich sage dir wer du bist …?

Die Gründung des Universitätsfachs „Völkerkunde“ vor über 200 Jahren hing eng mit den Entdeckungsreisen der damaligen imperialen Wirtschaftsmächte zusammen und den gesellschaftlichen Fragen, die durch die Entdeckung von anderen Lebens- und Sichtweisen aufgeworfen wurden.

In den Anfängen betrachtete man ‘Volk’ oder ‘Kultur’ als historisch gewachsene Einheit, die man als Forscher „von außen“ beobachten, konkret beschreiben und anhand von Gegenständen in Museen darstellen konnte. Ganz nach dem Motto: Sag mir welches Werkzeug du benutzt und ich sage dir wer du bist.  Man interessierte sich für Struktur und Funktion von Gesellschaft / Kultur. Lange Zeit basierte die Vorstellung von „Kultur“ als etwas, das einem einzigen „Volk“ zugehörig ist auf Herders Vorstellung eines „Volksgeistes“. Noch heute geistert diese Idee als „Mentalität“ durch Alltagsgespräche.

Mithilfe langjähriger systematischer Feldforschungen kamen jedoch immer mehr Erkenntnisse zu Tage, die diesem statischen Bild widersprachen. Vielmehr fanden Forscher heraus, dass namentliche Zugehörigkeit (= Ethnie, ethnische Zugehörigkeit) von Einheimischen flexibel und situationsbedingt eingesetzt wird. Dazu findet (und fand schon immer) ein reger Austausch von Ideen, Erfindungen, Techniken zwischen verschiedenen „Kulturgruppen“ statt. Die Geschichte unserer eigenen Entwicklung in Europa bestätigt dieses Bild.

Ethnologie im 21. Jahrhundert: “Kultur” ist Wandel

Ethnologie hat also erkannt, dass Kultur nicht statisch ist. Nein, Kultur ist einem steten Wandel und dem Wirken von Akteuren unterworfen! Das ist das faszinierende daran: der Mensch ist sowohl kreativ als auch anpassungsfähig, im ständigen Austausch mit anderen – doch gleichzeitig bedient er sich oft alter Muster bzw. Bedeutungszuschreibungen.

Mit diesem Bewusstsein hat sich auch der Forschungsfokus geändert.

Wo zuvor Kultur als etwas eher Unveränderliches gesehen und so beschrieben wurde, trat nun der Fokus auf das Handeln von Menschen als Kulturschaffende Akteure. Damit rückten Widersprüche, Machtkämpfe, Diskurse, Netzwerkbildungen und die kritische Betrachtung der eigenen Gesellschaft in die Wahrnehmung der ethnologischen Wissenschaft.

Darüber hinaus setzten sich die Ethnologen auch mit ihrer eigenen Rolle kritisch auseinander. 

Wie tragen Ethnologen zur Erschaffung oder Stabilisierung von kulturellen Stereotypen bei?

Welch ethischen Grundsätzen verpflichten sich Ethnologen bei ihrer Forschungsarbeit?

Die Erforschung der Vielfalt: von wem wird “Kultur” geschaffen?

Ethnologie erforscht nun mehr gesellschaftliche Phänomene im Sinne von Bedeutungssystemen, Transformationsprozessen und Werte- & Identitätsorientierten Konzeptbildungen.
Sie umfasst dabei Bereiche wie Religion, Wirtschaft, Politik, Rechtsprechung, Verwandtschaft, Psychologie & Kognition, Erziehung, Landwirtschaft, Nahrungszubereitung, Krankheit & Heilung, Musik, Sprache, Kunst, Globalisierung, Rassismus, Macht & Widerstand … die Liste ist endlos.

Dabei geht es vor allem um die Zusammenhänge: In welche systemrelevanten Prozesse ist das Phänomen eingebunden? Welche Dynamiken sind zu beobachten? Welche gesellschaftlichen Diskurse und welche übergeordneten (Handlungs-)Systeme beeinflussen das Handeln der Akteure? Und wie beeinflussen Akteure mit ihrem Handeln das jeweilige System? Auf welchen Ideen basiert das Handeln? Wie verändern sich Ideen und Werte? 

Also anders gesagt: Ethnologen erforschen eher wie und von wem “Kultur” geschaffen wird – und weniger wie eine bestimmte “Kultur” (zu beschreiben) ist. (Vgl. Hahn, 2013: 38)

Allem voran steht die Erkenntnis, dass “unser” Verständnis von Verwandtschaft, Gesundheit, von Status und Prestige, von Erfolg und Scham bei weitem nicht allgemeingültig ist, sondern nur eine von sehr vielen verschiedenen Variationen – und immer einem gesellschaftlichen Diskurs und damit Wandel unterworfen.
Dies bedeutet für den Ethnologen vor allem das Hinterfragen der eigenen Gedankenwelt, das Hinterfragen der eigenen Gesellschaft. Denn wie ich das Handeln und die Wertvorstellungen “der Anderen” wahrnehme (und was ich ausblende) und wie ich dies letztendlich interpretiere hängt von meiner eigenen kulturellen Brille ab.

Eine schöne Beschreibung von Ethnologie ist auf antropo.info zu finden. 

 

Ethnologie als Beruf: “…und was “wird” man als Ethnologe?

Diese Frage hat den meisten von uns den nackten Schweiß auf die Stirn getrieben.

Stellenanzeigen mit dem Beruf “Ethnologe” (m/w/d) sucht man bis heute vergeblich. Noch immer ist “Beruf (-ung) Ethnologie” ein Abenteuer. Interessengebiete und Kreativität der jeweiligen Person, gepaart mit praxisrelevanten Erfahrungen aus Nebenjobs und Praktika, geben immer noch die Richtung(en) vor.

Ein klassisches Betätigungsfeld für Ethnologen gibt es nicht. Aber “den klassischen Ethnologen” gibt es auch nicht – Ethnologen & Ethnologinnen sind genauso vielfältig in ihren Interessen und Fähigkeiten wie ihr Studienfach!

Neben Forschung und universitären Lehre findet man Ethnologen daher in zahlreichen Professionen: als Projektmanager in lokalen und internationalen Organisationen, in der Entwicklungszusammenarbeit, in Museen, Kommunal- und Landesverwaltungen, Verlagen, Ministerien, als Journalisten, Interkulturelle Trainer, Berater, Bildungsreferenten, Redakteure, Schriftsteller, Filmemacher, als selbständige Unternehmer/innen u.v.m.

…und was können EthnologInnen?

Jeder Ethnologe spezialisiert sich auf eine bestimmte Region und meist auch auf bestimmte Themenkomplexe, die diese Region betreffen. Daher sind zu allererst die Sprach- und Expertenkenntnisse des jeweiligen Regionalschwerpunktes zu nennen.

Daneben bringen EthnologInnen – eine Reihe an weiteren praxisrelevanten Fertigkeiten mit.
Praxisnah bedeutet das:  Interviews führen und analysieren; Übersetzungen, Recherche, Literaturanalyse; Datenverarbeitung; Kommunikationsmuster sowie Systeme / Prozesse analysieren, Phänomene oder Probleme aus einer anderen Perspektive betrachten, Bewusstsein schärfen, hinterfragen, Kommunikation verbessern, Konflikten vorbeugen, Alternativen erarbeiten, Lösungen finden.

Nachtrag:  Ethnologin Julia Herz hat auf ihrem Blog ethnosphäre eine vielfältige Zusammenstellung von Interviews mit EthnologInnen über deren beruflichen Werdegang. Und darüber hinaus lesenswerte Posts zu verschiedenen Themen der Ethnologie  – Definitiv Lesetipp!

Ethnologie & Öffentlichkeit – Für wen schreiben wir eigentlich??

Trotz dieser mannigfaltigen, für unsere Gesellschaft relevanten Bereiche finden sich Ethnologen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum wieder. Ein Grund dafür mag in den “Unworten der Ethnologie” liegen und damit in dem Wissen dass kein Phänomen so einfach zu erklären – oder gar zu lösen ist – wie es der Mensch gerne hätte.
Hier ein markig formulierter Textauszug aus dem Schicksalshaften Jahr 2001 mit der Frage warum sich der Ethnologe in gesellschaftlichen Debatten engagieren sollte – und warum er es meist eben nicht tut…  Seine  Frage “Für wen schreiben wir eigentlich?” ist nun fast 20 Jahre später leider immer noch aktuell…

 

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