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Was ist eigentlich … Kultur?!

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“Kultur” ist in aller Munde – sie füllt öffentliche Debatten und dominiert Gespräche.  Gerne genutzt um ein Verhalten zu erklären oder Zugehörigkeiten zu diskutieren. Kultur ist zu einem Politikum geworden. 
Aber … Was ist denn eigentlich Kultur

Lasst uns auf Spurensuche gehen!

Ein Zeitreisebericht über Wilde & Barbaren, imaginäre Grenzen und erfundene Nationen…

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Gedanken werden zu Worten, Worte werden zu Taten

Warum sollte man sich mit einem Wort auseinandersetzen? Ist doch egal wie ich das Kind beim Namen nenne, weiß doch jeder was damit gemeint ist?

Wir verwenden Worte um über unsere Welt zu kommunizieren. Wir erfinden Worte um die Welt und uns als Menschheit zu verstehen. Daher steckt hinter einem Begriff oft ein komplexes Bedeutungssystem, verknüpft mit bestimmten Vorstellungen. Und je nach Erfahrungswerten und Lebensumständen können diese variieren. Wir meinen vom gleichen zu sprechen, und meinen doch etwas anderes.

Beobachtet man beispielsweise heutige Debatten oder Alltagsgespräche und es fällt der Begriff  „Kultur“ könnte man meinen es handle sich um eine unsichtbare Macht, die Gottgleich unser Denken und Handeln bzw. das der „Anderen“ bestimmt. Ist “Kultur” etwa ein Naturphänomen?

Wenn wir meinen die Welt, das Wesen der Menschheit, den “Anderen” begriffen zu haben, kommen wir in Aktion. Doch was ist wenn unser Handeln auf einem falschen Verständnis basiert?

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Erster Halt: Römisches Imperium & die Pflege des Geistes

Unser Begriff der „Kultur“ stammt aus dem Lateinischen. Es leitet sich vom Verb colere ab, das ursprünglich “Land bewohnen” bedeutete und später im erweiterten Bedeutungsrahmen “Acker bebauen“, “Leben gestalten“, “Freundschaften pflegen” und “Götter verehren” verwendet wurde.

Das davon abgeleitete cultura / cultus wurde zunächst in Bezug auf Landwirtschaft verwendet, v.a. im Hinblick auf die Pflege und Veredelung des Ackerbaus.

Und das zeigt auch schon das Kernelement aller Definitionen von Kultur: es ist etwas vom Menschen Gemachtes und Gestaltetes – im Gegensatz zu Natur.

Marus Tullius Cicero: cultura animi

Cesare Maccari: Cicero klagt Catilina an. Historisierendes Fresko in der Villa Madama in Rom, 1888

In den Schriften des römischen Politikers, Juristen und Philosophen Marcus Tullius Cicero (106–43 v.Chr.) ist erstmals die Verwendung des Begriffes auf den Menschen bezogen belegt: „Cultura animi autem philosophia est.“ Cicero verwendet hier die Bearbeitung des Ackers als Metapher für die Pflege, sprich Weiterbildung und Verfeinerung des menschlichen Geistes durch Philosophie. Ein intelligenter, wacher Geist alleine reiche nicht aus, dieser müsse auch aktiv gepflegt werden damit die Saat der Bildung aufgehen könne. Philosophie solle dazu beitragen Kummer und Ängste zu beseitigen und den Menschen von Begierden und Lastern zu befreien. 

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Zweiter Halt: Europäische Epoche der Aufklärung – wir sind alle gleich!

In dem Sinne von “Veredelung des Geistes” wurde Kultur von den europäischen Aufklärern im 18. Jahrhundert aufgenommen, allerdings mit dem Schwerpunkt auf die Verbesserung – „Veredelung“ – der Gesellschaft.  

Hier finden wir zwei Ideen vor:

Zum einen Kultur als Gegensatz von Natur: der gebildete – d.h. der in den hohen Künsten bewanderte – Mensch unterscheidet sich durch seine Kultur vom Tier.  Es war eine auf die Elite bezogene Zuschreibung: Also Kultur in Form von Kultiviertheit, im Sinne von Bildung. Noch heute findet man “die hohen Künste” wie Literatur, Musik und bildende Kunst als Unterrubriken von “Kultur” in Zeitungen oder auf anderen medialen Plattformen.

Zum anderen wollten Aufklärer mit einer ethnischen Aufladung des Begriffes „Volk“ und dem der „Kultur(en)“ die gesellschaftliche Kluft zwischen Bauern – Klerus – Adel aufheben. Sie wollten deutlich machen, dass es mehr Verbindendes denn Trennendes gibt: arm wie reich, Bauer wie auch Fürst gehöre zu einem Volke – der eine dürfe nicht gewaltsam über den anderen entscheiden.

Die Vorstellung von “Volk” und “Kultur” als feste, konsistente und die Zeiten überdauernde Einheit gewann an Popularität.

Hier begann also die leidvolle Verknüpfung von “Kultur” und “Volk” / “Nation”….

Kultur Epoche der Aufklärung

Der Weimarer Musenhof. Ölgemälde, Theobald von Oer, 1860. Friedrich Schiller deklamiert im Tiefurter Park. Unter den Zuhörern ganz links (sitzend) Herder, in der Bildmitte (sitzend mit Kappe) Wieland und rechts (stehend) Goethe.

 

Auch die Wilden haben Kultur!

Bis zu Johann Gottfried Herders mehrbändigem Werk Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784-1791) wurde “Kultur” nur in Bezug auf ein Objekt verwendet: Kultivierung von Geist, Kultivierung von Musik usw. Er dagegen verwendete Kultur als eine auf ein Volk bezogene Ganzheit der Lebensumstände – Kultur als eigenständiges Subjekt. So war “die Kultur” geboren…

Er lehnte die Sichtweise seiner Zeitgenossen ab, die die “naturnahen” Einwohner in Afrika oder Amerika als “unzivilisierte Völker ohne Kultur” bezeichneten. Für ihn ist der Mensch ein genuin kulturelles Wesen, daher könne es keine unzivilisierten Völker geben. Der einzige Unterschied sei der Grad der Kultivierung. (Vgl. Löchte, 2005: 29 ff.)

Herder verurteilte den europäischen Kolonialismus auf das Schärfste und trat für das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein. Und doch ist auch seine Argumentation nicht gefeit vor Widersprüchen und eurozentrischen Ideen. So vertritt er einen teils evolutionistischen Ansatz, teils einen Klimatheoretischen während er von “gelungenen” Kulturen (wie die griechische und indische) und von “misslungenen” spricht. Einerseits betonte er, dass es keine Nation geben könne, die für sich den Anspruch der alleinigen Wahrheit und höchsten Zivilisation erheben könne – auch die “Europäische Cultur” sei kein Maßstab – andererseits hebt er den zivilisatorischen Vorsprung Europas gegenüber anderen Kulturen hervor. (Vgl. Löchte, 2005: 14 ff.)

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Dritter Halt: Evolutionismus & die Erfindung von „Rassen“

Erste kompakte Definition von Kultur finden wir bei Sir Edward Burnett Tylor, dessen Werk The Origins of Culture 1871 und nur ein Jahr später schon in deutscher und russischer Sprache erschien. Er definiert Kultur als „jenes komplexe Ganze, das Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Recht, Sitte,  Brauch und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die der Mensch als Mitglied einer Gesellschaft erworben hat.“

Tylor verfolgte einen evolutionistischen Ansatz: ihm ging es um die Evolution der menschlichen Kultur im Singular und damit um den Unterschied von Kultur (der zivilisierten “Kulturvölker”) und Nicht-Kultur (der “Wilden”). Wie viele seiner Zeitgenossen ging er davon aus, dass sich die Menschheit in evolutionären Stufen weiterentwickelt – vom Geschichts- und schriftlosen “Naturvolk” über komplexere Organisationsformen bis hin zu aufgeklärten Nationalstaaten = „Kulturvölkern“. 

Dieses Theoriekonzept entsprach dem damaligen Zeitgeist und beeinflusste seinerseits wiederum nachfolgende Generationen. Es behandelte “Kultur” wie ein abgeschlossenes Päckchen mit festen Grenzen, das Mitglieder enthielt, die in einer Abstammungslinie miteinander verbunden waren und von ihrem ersten Atemzug bis zum letzten diesem “Kulturpaket” angehörten und von diesem in ihrem Handeln bestimmt wurden.

In diesem Konzept gab es höher entwickelte und unterentwickelte Gesellschaften. Kultur hatte im evolutionistischen Ansatz einen biologischen Moment, was die Unterschiede der “Rassen” begründete. So waren in dieser Sichtweise Indigene, auf die Europäer während ihrer imperialen Beutezüge trafen, ein Abbild der frühen Menschheit und mussten erst hin zu einem “Kulturvolk” erzogen werden sofern sie von den Stufen nicht zu weit entfernt waren.

Dieses Gedankenkonstrukt hatte zwei konzeptionelle Folgen: Während die einen den “edlen Wilden” als ideellen Gegenentwurf zur industriellen Gesellschaft mit ihrer frappierenden Ungleichheit sahen, nahmen andere das Konzept des “unkultivierten Wilden” zur Begründung ihrer Gier nach Ausbeutung und Machtausübung. 

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Vierter Halt: Kulturrelativismus – alle Kulturen sind gleichwertig

Der in Mode gekommene Evolutionismus im 19. Jh. wurde nicht von allen gut geheißen. Insbesondere der Anthropologe Franz Boas sprach sich vehement gegen den evolutionistischen Ansatz mit seinem innewohnenden Rassismus aus. Aktiv trat er für Toleranz, Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker ein. (Was u.a. dazu führte, dass seine Werke in Deutschland unter Hitler verboten waren…)

Unter Boas, der sich teilweise auf Herders Ideen stützte, entstand der pluralisierte Begriff “Kulturen“. Er und seine Schüler vertraten die Ansicht, dass jede Gesellschaft ihre eigene, ganz individuelle historische und kulturelle Entwicklung hat, aus der sie heraus verstanden werden sollte. Auch wurde der biologische Moment durch den der Sozialisation ersetzt – d.h. Kultur war nicht die Folge des Erbgutes sondern der Erziehung.

Franz Boas erschuf dadurch eine neue Denkschule in der ethnologischen Forschung. Und dennoch – so stellt Sökefeld heraus – war immer noch das Zentrale in der Ethnologie der kulturelle Unterschied sowie der Kultur-Determinismus. Somit übernahm der neue Kulturbegriff durch diese beiden Aspekte “unfreiwillig das problematische Vermächtnis des Rassekonzeptes/Rassismus.” (Sökefeld, 2001: 122)

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Fünfter Halt: Entkolonialisierung oder das Erfinden von Nationen…

Um während der Kolonialisierung die eroberten Gebiete besser kontrollieren und deren Ressourcen ausbeuten zu können, wurden Grenzen gezogen. Grenzen, die willkürlich, wortwörtlich mit dem Lineal, gezogen worden waren. Grenzen, wo es zuvor keine gegeben hatte. Bevölkerungen wurden in schön klar definierte “Kulturpakete” zusammengepackt und mit einem Namen versehen. Auch das half der Verwaltung. Und auch hier wurden Grenzen von Zugehörigkeit gezogen wo es zuvor fließende Kommunikationsnetzwerke gegeben hatte.

Doch schon damals im 19. Jh. hinterfragten scharfsichtige Beobachter – Reisende, Forscher, aber auch mancher Kolonialbeamte –  die ethnischen Unterteilungen und willkürlichen Grenzen. Sie wiesen darauf hin, dass diese irreführend sind, da sie nicht der beobachtbaren Wirklichkeit entsprechen. Es gebe viel mehr kulturelle Gemeinsamkeiten, Mobilität, Austausch und Verwandtschaftsbeziehungen, die über diese erfundenen Grenzen hinausgingen. (Vgl. Reif, 2015: 50 ff.)

Und doch wurde daran festgehalten. Man wollte in das unübersichtliche Chaos der akephalen Gesellschaften (a-kephal = “ohne Kopf”: Gesellschaften mit flexibler Sozial-Organisation, ohne starre Herrschaftshierarchie, ohne herrschende Elite) Ordnung bringen. Man wollte das verstehen. Was gibt es also effektiveres als Strukturen herauszuarbeiten und Grafiken zu erstellen? Manche Ethnologen waren sich dieser Diskrepanz zwischen schematischer Darstellung und der beobachtbaren Handlungsebene durchaus bewusst, weshalb man in der damaligen Literatur oft einen Nebensatz findet, der darauf aufmerksam macht. 

Die Ironie: gerade diese von der Kolonialverwaltung erfundenen ethnischen Kategorien und “Stämme”, dienten den Unterdrückten ihren Kampf für Unabhängigkeit sowie Zugang zu Ressourcen zu organisieren und neue Machtverhältnisse zu schaffen. Viele der heutigen Staatsgrenzen und Konflikte sind ein Erbe dieser Entwicklung.

Geburt des Begriffpaares Ethnie und Ethnizität

… denen das gleiche Schicksal zuteil wird wie zuvor dem neuen Kulturbegriff. Es soll eine überholte Sichtweise ablösen (diesmal von “Volk” und “Kultur”) und übernimmt dennoch problematische Aspekte derselben. 

Die Idee von “Ethnien”: Widerspruch zwischen Theorie und Wirklichkeit

In der Ethnologie wurde die Entkolonialisierung durch Kulturwandelstudien und Stadtforschung begleitet. Im Fokus der Forschungen standen größtenteils Konfliktfelder, die durch die (Ent-) kolonialisierung bzw. durch den Kontakt mit “der westlichen Kultur” entstanden sind. Diejenigen, welche ethnische Zugehörigkeiten in urbanen Forschungsfeldern untersuchten, gaben an, dass die ethnischen Zugehörigkeiten in den Städten nichts mit den “traditionellen” Strukturen auf dem Land gemein hätten. Damit implizierten sie jedoch, dass es feste klar abgrenzbare, “traditionelle” = “ursprüngliche Stammesgruppen” oder Ethnien gebe. Obwohl mancher Ethnologe auf Widersprüche während seiner Forschung stieß und erkannte, dass die postulierten kulturellen Abgrenzungen mehr theoretisches Hilfskonstrukt als Abbild der Wirklichkeit waren, blieben die meisten bei dieser vereinfachenden Darstellung. (Vgl. Sökefeld, 2001: 125) 

Sie waren sich anscheinend nicht bewusst welchen Einfluss ihre Darstellungen hatten. Die schematische Repräsentation trug dazu dabei Stereotypen zu erschaffen, die wiederum genutzt wurden um Machtverhältnisse und Herrschaftsansprüche zu legitimieren…

Kultur Das ethnische Problem

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Nächster Halt: Krise der Ethnologie – Krise der Repräsentation

Die Beschäftigung von Anthropologen der 1980er und -90er mit den oben genannten Widersprüchen und Implikationen stürzte die Ethnologie in eine große Sinnkrise. Es war gar vom Ende des Faches die Rede. Die Erkenntnis welche Macht Ethnologen ausüben, indem sie “den Anderen” beschreiben, kategorisieren, ein Schemata aufstellen, führte zu ausgiebigen Debatten. Diskutiert wurde nicht nur die Rolle des Forschers, ethische Grundsätze und das Wesen von “Kultur” und “Ethnizität” sondern auch die mediale Darstellung an sich.

Writing Culture

Wie kann man die Gesellschaft der ‘Anderen’ angemessen beschreiben, ohne künstlich Differenz und Grenzen zu konstruieren? Wie schafft man es ein reales, lebendiges Bild der untersuchten Gesellschaft zu transportieren ohne Stereotypen und Machtgefälle zu verfestigen? Wie eine angemessene Beschreibung einer Gesellschaft erstellen ohne durch die eigene kulturell gefärbte Brille zu verfälschen?

In Anlehnung an die damalige Literaturwissenschaft wurden verschiedene Alternativen des ethnographischen Schreibens ausprobiert. 

Kultur ist Praxis, ist Wandel

Immer mehr rückten Handlungs- und Ideentheorien, Biographische Arbeit, Netzwerk- und Diskursanalysen in den Vordergrund der Wissenschaftlichen Arbeit. Ältere Werke von bekannten Philosophen, Soziologen und Kulturwissenschaftlern wurden neu gelesen und analysiert. Die Erkenntnis, dass Zugehörigkeit und damit “Kultur” und “Ethnizität” eine sehr subjektive und situationsbedingte Angelegenheit ist, führte zu neuen Forschungsschwerpunkten.

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Fazit – Die Erschaffung von Kultur

Kultur ist keine objektive Tatsache und schon gar kein Naturphänomen. Es ist ein Gedanken-Konzept, welches sich historisch entwickelt hat – auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten um unsere “menschliche Natur” zu verstehen.
Die Gleichung “Eine Kultur = ein Volk” hat sich als Fehlinterpretation entpuppt. 

Und dennoch können wir in unserer Welt eine Vielzahl verschiedener kultureller Phänomene beobachten. Wie können wir also das Beobachtbare, das wir “Kultur” nennen, verstehen?

Kultur ist ein Produkt menschlicher Praxis. Sie gründet sich auf den Prinzipien Erlernen, Bewahrung, Anpassung, Kreativität, Suche nach Sinnhaftigkeit, Zuschreibung von Bedeutung, Wunsch nach Zugehörigkeit, Gemeinschaftsentwicklung, Integration & Abgrenzung, Austausch und Aushandlung von verschiedenen Meinungen, Werten, Maßnahmen und Zielen.

Also anders gesagt: Ethnologen erforschen eher wie und von wem “Kultur” geschaffen wird – und weniger wie eine bestimmte “Kultur” (zu beschreiben) ist. (Vgl. Hahn, 2013: 38)

und mit den Worten von Ilja Trojanow & Ranjit Hoskote, die in ihrem Buch die Illusion von Kultur als eine in sich geschlossene, homogene Wesenheit auflösen möchten:

Wer das zuläßt, erkennt, daß der andere kein Feind ist, kein Fremder […] manchmal nicht einmal ein anderer, sondern nur ein Spiegel der verschiedenen möglichen Facetten, […] der vielfältigen Definitionen der Zugehörigkeit. Wir müssen in diesen Spiegel schauen, nicht um uns in der Verwirrung zu verlieren, sondern um uns selbst und unsere Möglichkeiten klar zu erkennen.“ (Trojanow & Hoskote, 2017: 34)

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Zum Weiterlesen & Vertiefen:

Dieser Post zeichnet die verschiedenen Positionen und Argumentationslinien nur holzschnittartig wieder. Wer sich in die Thematik vertiefen möchte, seien die unten verlinkten Artikel von Bettina Beer und Martin Sökefeld empfohlen.

Sascha Reif diskutiert in seiner Dissertation ausgiebig die Erfindung von “Stämmen” und Ethnien im kolonialen Zeitalter. Durch die vielen Zitate und Einblicke in historische Reiseberichte lässt es sich flüssig lesen und ein lebendiges Bild afrikanischer Gesellschaften des 19. Jahrhunderts entstehen. Definitiv Lesetipp!

Mischa Meier hat eine höchst spannende, wissenschaftliche und doch gut lesbare Lektüre geschaffen zu der wohl zugleich spannendsten und geheimnisvollsten wie auch komplexesten Zeiten in der eurasischen Geschichte. Er verbindet prosaische Erzählung mit Erkenntnissen aus Archäologischen Ausgrabungen und der Analyse von schriftlichen Primärquellen zu einem imposanten Gesamtwerk. Anschaulich stellt er dar wie irreführend es ist von “Völkern” oder “Ethnien” zu sprechen, und was wir losgelöst von ideologisch gefärbten und symbolisch aufgeladenen Narrativen denn tatsächlich über die damalige Epoche der “Völkerwanderung” wissen können. Definitiv Lesetipp!

Ein Muss für alle, die sich einen erhellenden Erkenntnisgewinn zum subjektiven Kulturkonzept und der “Erfindung von Nationen” wünschen, sind die Werke von 

BENEDICT ANDERSON: DIE ERFINDUNG DER NATION. 1988.

FREDERIK BARTH: ETHNIC GROUPS AND BOUNDARIES
THE SOCIAL ORGANIZATION OF CULTURE DIFFERENCE. 1969

ROGERS BRUBAKERS: ETHNICITY WITHOUT GROUPS. 2006

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Literaturhinweise:

Beer, Bettina
2013 Kultur und Ethnizität. In: Beer, Bettina und Hans Fischer (Hg.), Ethnologie eine Einführung, 53-73. (8. Auflage). Berlin: Reimer.

Cicero, Marcus Tullius
1997 Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum. Lateinisch / Deutsch. Stuttgart: Reclam. (45 v. Chr.)

Hahn, Hans Peter
2013 Ethnologie: Eine Einführung. Suhrkamp Verlag.

Löchte, Anne
2005 Johann Gottfried Herder: Kulturtheorie und Humanitätsidee der Ideen, Humanitätsbriefe und Adrastea. Würzburg: Königshauses & Neumann Verlag GmbH.

Mischa Meier. 2019. Geschichte der Völkerwanderung: Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jh. n. Chr. Verlag C.H.Beck, München.

Reif, Sascha
2015 Generationalität und Gewalt: Kriegergruppen im Ostafrika des 19. Jahrhunderts. Göttingen: Vanderhoeck & Ruprecht unipress GmbH.

Schupp, Sabine
1997 Die Ethnologie und ihr koloniales Erbe: ältere und neuere Debatten um die Entkolonialisierung einer Wissenschaft. Hamburg: LIT Verlag.

Sökefeld, Martin
2001 Der Kulturbegriff in der Ethnologie und im öffentlichen Diskurs – eine paradoxe Entwicklung?

Bildquellen:

Cesare Maccari: Cicero klagt Catilina an. Historisierendes Fresko in der Villa Madama in Rom, 1888: Wikipedia, gemeinfreies Bild.

Theobald von Oer: Der Weimarer Musenhof. Ölgemälde, 1860. Wikipedia, gemeinfreies Bild. 

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