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Der Bunte Grabstein, Umgang mit Tod

Der Bunte Grabstein – Gespräch mit Joe

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Was tust du wenn du mit einer unheilbaren Diagnose konfrontiert wirst? Die Perspektive: nur noch 3, max. 4 Monate zu leben. Das ist Joe passiert. Ich sitze hier mit ihm an einem See im wunderschönen Alpenvorland, er strahlt als er mir von seiner Geschichte erzählt. Alles begann vor 6 Jahren…

Eine inspirierende wahre Geschichte, vielen Dank an Joe, dass ich das Gespräch mit ihm veröffentlichen durfte!

Intro – wie wir Joe kennenlernten:

Auf dem Campingplatz angekommen, nehmen wir ein Segelboot am Kiesstrand des Sees wahr, dessen Segel heftig im aufkommenden Wind flattert. Wer hat da wohl vergessen das Segel einzuholen?, schießt es mir durch den Kopf.

Abends macht mich mein Freund auf einen Mann aufmerksam, der mit der Segway sein kleines Segelboot die Anhöhe hinaufzieht. Es war das gleiche, das wir zuvor am Strand gesehen hatten. „Ach schau nur, wie gelassen dieser Typ ist“, seufzt er sehnsüchtig, „so wäre ich auch gerne. Ich finde er sieht richtig in sich ruhend aus. Den möchte ich gerne kennenlernen!“.

Mit Gelassenheit durchs Leben segeln

Am nächsten Tag, als er gerade sein Segelboot vorbereitete, kommen wir ins Gespräch mit ihm. Was zunächst mit einem Smalltalk übers Segeln und Campen begann, nahm schnell eine unerwartete Tiefe an.

Früher habe er viel gearbeitet, “viel zu viel” gesteht er. Habe seine Familie, seine Gesundheit vernachlässigt. Nun sei er oft mit dem Wohnwagen unterwegs, vor allem hier, an diesem Fleck fast unberührter Natur. Er schließt die Augen und atmet tief ein, blickt verträumt auf den See und die dahinter liegenden saftig grünen Weiden des Allgäus. “Das hätte ich schon viel früher machen müssen…”, er schaut uns an, nach Verständnis suchend, “aber wie das so ist, man ist manchmal so gefangen in seinem Alltag, in seinem gewohnten Denken”. Wir nicken, denn wir verstehen nur zu gut.

“Aber mir hat die Arbeit auch wirklich Spaß gemacht. Ich hatte so viele Projekte!”. Er beginnt förmlich zu sprudeln, ich komme gedanklich kaum hinterher – vor allem weil es sehr technisch ist: es geht hauptsächlich um Autos, Motoren, Elektromobilität.

Mit Gelassenheit durchs Leben segeln. Umgang mit Tod
Allgäu, Alpenvorland, mit Gelassenheit durchs Leben segeln

Der Supergau tritt ein: Diagnose Endstadium

Eines Tages klappt er zusammen, wird ins Krankenhaus eingeliefert. Die Diagnose: seltene Krebsart, Endstadium, Lebenserwartung noch etwa 3-4 Monate.

Doch der Sensenmann hat nicht mit Joe’s Hartnäckigkeit gerechnet. Er beschließt “der Ausreißer aus der Statistik” zu sein.

Wie schaffst du es deinen Humor zu behalten? Du wirkst so fröhlich und gelassen…?

„Ach!“, ruft er überrascht aus, „also eigentlich, war ich immer total ernst. Ich nahm alles ernst“ – als er das sagte verwandelte sich sein Gesicht. Seine Lachfalten transformierten sich in eine ernste, ja fast grimmige Miene. Sein Gesicht wirkt hart, unnachgiebig – ich bekomme eine Ahnung wie seine mentale Einstellung früher wohl gewesen sein muss. „Ich weiß noch wie mein Religionslehrer in der Schule sagte: „Joe, du bist so ernst! Sei locker!“, Joe schüttelt den Kopf, sein Gesicht wieder zurückverwandelt in eine heiter-gelassene Miene „…So was! Da hab ich lange nicht mehr dran gedacht.“ 

Und wie hast du es dann geschafft, dich zu ändern? Wie hast du es geschafft dein altes Muster loszulassen?

„Tja, das war damals mit der Schwitzhütte beim Schamanen. Ich habe mein altes Leben dem Feuer übergeben. Ich hab ja nicht dran geglaubt, an Schamanen und so, aber dachte mir, Mensch, mit so ner Diagnose, was soll da schon schief gehen. Ich hab all die traurigen Erinnerungen, Groll und Ernst, alles was mir nicht gut tat, abgegeben. Und dann war das, am nächsten Morgen, als wäre ich leichter, freier…“

Joe änderte sein Leben und seine Einstellung. Er versucht verschiedene Therapien, vor allem lebt er mit Gelassenheit, mit Freude. Unter anderem widmet er sich seinem Herzensprojekt: sich selbst aufladende Elektro-Batterien für Afrika.

Der Tumor ging zurück. Die Ärzte verblüfft.

Der Bunte Grabstein

Doch dann eines Tages… nach viel zu kurzer Zeit: Guter Freund stirbt, hatte starke Depressionen. Joes Miene verdunkelt sich, seine Traurigkeit ist stark zu spüren. „Habe ihn besucht, als er die Tür aufmachte, bin ich so erschrocken – da stand der Tod vor mir!“. Joe versuchte ihm zu helfen, ihn aufzumuntern. Er aktivierte gemeinsame Freunde, in der Hoffnung dass diese ihn vielleicht erreichen können. Doch nur zwei Monate später nahm sich dieser Freund das Leben.

Durch ihn hatte er den Schamanen kennengelernt. Joe schüttelt ratlos den Kopf „Wie absurd. Er rettet mir das Leben. Aber konnte seines nicht retten.“

Das Ereignis erschüttert ihn zutiefst, der Tumor wächst wieder.

Doch auch diesmal: Joe lässt sich sein Schicksal nicht diktieren. Er bereitet alles vor, regelt seinen Nachlass. Kauft sich einen Grabstein – einen mit bunten Farbschattierungen.

Joe lacht als würde er dem Tod ein Schnippchen schlagen. “Hatte mir damals vorgenommen, dass ich jeden Tag mein Grab besuche und zum Grabstein sage: Heute hast mich noch nicht bekommen. Auch morgen werde ich wieder hier stehen und lachen!’ und das mache ich seitdem”.

Jeder Tag ist ein Geschenk

Schließlich gesteht er: „ich bin erst seit letzter Woche aus der Palliativstation draußen. Bin gleich als erstes zu meinem Grabstein um mir Energie zu holen und zu überlegen was ich als nächstes mache.“

Ich bin baff, da steht dieser Mann vor mir, mit strahlendem Gesicht, schließt genießerisch die Augen als er beim Reden die Hand so hinhält als stünde er neben seinem Grabstein, seine Hand darauf legend. Seine Körperhaltung wird aufrechter, sein Lächeln tiefer. Kurze Zeit bleibt er so, dann öffnet er die Augen wieder: „Weißt du, es ist wie eine Ladestation für ein Elektro-Auto“, hier kichert er verschmitzt, blinzelt mir verschwörerisch zu, „nur, dass ich aufgeladen werde.“ Ich glaube ihm aufs Wort.

„Tja, und dann bin ich hierher auf diesen Campingplatz gekommen. Hab das Boot gesehen und dachte mir, bin vor 30 Jahren das letzte Mal gesegelt, aber ach komm was soll’s, wieso nicht? Das Geld brauch ich ja sowieso nicht mehr“, er lacht. 

“Für mich ist jeder neue Tag, den ich erleben darf, ein Geschenk – und so lebe ich ihn dann auch!”.

Sein Leben im Angesicht des Todes leben. Mit Freude leben und Gelassenheit, und das obwohl jeder Tag mit großen Schmerzen einhergeht, und der Alltag von medizinischer Versorgung und körperlicher Eingeschränktheit geprägt ist. Das ist für mich wahre Größe.

Er blickt sich um, beginnt noch mehr zu strahlen. “Ah, da kommt meine Tochter!”. Wir verabschieden uns, ich blicke den beiden hinterher wie sie einander umarmen, ins Boot steigen und dann mit gesetzten Segel übers Wasser gleiten.

Und voller Herzen wünsche ich den beiden noch viele, viele solcher Tage.

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