Krim, “die Perle des Schwarzen Meers”: Hier erlebt man beeindruckende Naturlandschaften, spannungsgeladene vielseitige Geschichte, faszinierende Kultur(en)! – komm mit auf eine Reise durch die Zeit, anhand sehenswerten Orten tauchen wir in die Geschichte ein. … und spüren der Frage nach “Wem ‘gehört’ eigentlich die Krim?”…
Sucht man im Internet oder in der Literatur nach der Krim, findet man eine Fokussierung auf die politische – und ja, leider auch militärische – Auseinandersetzung zwischen Ukraine und Russland. Doch diese Halbinsel hat so viel mehr zu bieten!
Wir entdecken Zeugnisse von Völkerwanderungen, vergangenen Fürstentümern, Höhlensiedlungen und Felsenklöster. Das Erbe der Steppenreiter aus Zentralasien, das ehemalige Krimkhanat aber auch die russische Eroberung sowie das düstere Sowjetkapitel spiegelt sich noch heute in Festungen, Gebäuden und den Gesichtern der Krim.
Doch was hat die Krim mit unserem modernen Gesundheitssystem zu tun? Welchen Einfluss auf die Geschichte Deutschlands? Und was zur Hölle haben Werwölfe und Amazonen auf der Krim verloren?
Am Ende des Artikels findest du eine Reihe von empfehlenswerter Literatur (Bücher sowie wissenschaftliche Arbeiten im PDF-Format).
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Table of Contents
Krim – Heimat und Paradies für die einen, militärisch-strategischer Hafen für die anderen
Krim, 2007, Tag 1 nach meiner Ankunft… wir rumpeln in einem rostigen VW über die Straße. Die Straßen der Hauptstadt Simferopol sind breit und voller Schlaglöcher. Eintönige Sowjetbauten prägen die Szenerie dieses Stadtteils. Leitungen und Rohre werden oberhalb der Straße geführt, was dem Stadtbild einen provisorischen Touch verleiht. Ich klammere mich an meinem Autositz fest – einen Sicherheitsgurt gibt es nicht. Mit bedenklicher Geschwindigkeit kurvt mein krimtatarischer Begleiter um die Schlaglöcher herum, kann es jedoch nicht verhindern hier und da eines mitzunehmen. Hopp! Ich mache einen Satz nach oben bevor es mich durch die Fliehkraft wieder an die Autotür drückt. Währenddessen erzählt mein Begleiter, bekannter Journalist und Aktivist in der krimtatarischen Community, vom schamlosen Treiben der russischen und japanischen Mafia, von korrupten Oligarchen und Politikern, und wie Russland versucht wieder mehr Einfluss auf der Krim zu gewinnen. Vor allem der Hafen von Sewastopol ist für Putin ein wichtiger strategischer Punkt, aber auch die “Straße von Kertsch”, welche für die Gasversorgung eine wichtige Rolle spielt. Dann gibt es da noch die Türkei, die durch Finanzierungshilfen für die Krimtatarische Community, wie Bau von Moscheen, Förderung der Krimtatarischen Sprache etc, versucht Einfluss zu üben. Durchbrochen wird seine sorgenvolle Miene nur wenn er von seiner Heimat spricht, von „seiner“ Krim. Begeisternd erzählt er von der wechselhaften Geschichte dieser außergewöhnlichen Insel und ihrer multi-ethnischen Bevölkerung. Seine Augen leuchten wenn er von Krim als “vatan”, als Heimat, von ihren bedeutsamen Orten, schönen Küstenregionen, und kulturell-historischen Sehenswürdigkeiten spricht. Er gehört zu den Personen auf der Krim, die für eine unabhängige Krim votieren, und alle Bevölkerungsgruppen – seien es Krimtataren, Slawen, Deutsche, Kaukasier, Karaimer und Bulgaren als “Krimzi” oder “Krimtschani” also “Bewohner der Krim” miteinschließen wollen.
Im Bann der Eroberer – oder die zwei Seiten der Kulturellen Vielfalt
Kulturelle Vielfalt – ach, wie lässt dies das Herz eines Ethnologen höher schlagen. Eine spannende Mischung aus verschiedenen und manchmal doch ähnlichen religiösen Vorstellungen und Kleidungsstilen, von Sprachen und Dialekten, eine Mischung aus Anpassung und gewollter Abgrenzung.
Kulturelle Vielfalt ist die Folge von sozialen Kontakten, Migration und Handelsbeziehungen, Sinn für Ästhetik und Mode, Kreativität und Innovation auf der einen Seite – die andere Seite jedoch spiegelt sich im Kampf um Macht und Herrschaft und das Sichern des eigenen Wohlstands auf Kosten von anderen wider.
Aufgrund ihrer strategischen Lage im Schwarzen Meer und ihres günstigen Klimas ist die Krim ein Paradebeispiel dafür. Siedlungsparadies, Begegnungsort, Handelsknotenpunkt – und Spielball der Herrschenden.
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vor fast 3000 Jahren….von Reiternomaden und Griechischen Handelskolonien
TAUREN. Im Südlichen Bergvorland und Gebirge der Krim wurden bronzezeitliche Siedlungen ausgegraben mit Keramikfunden und zahlreichen Schmuckstücken aus Bronze und Perlen, Waffen wie Dolche, Schwerter und Pfeilspitzen. Ebenso fand man skythisches Pferdegeschirr, sodass man zum einen annehmen kann, dass sie nicht nur Pferde besaßen sondern mit den skythischen Reiternomaden im Norden der Krim im Handel verbunden waren. Ihre Toten bestatteten sie in Steinkisten mit einer steinernen Abdeckplatte und gaben ihnen Keramik, Schmuck und Waffen mit ins Grab. Waren Sie Bauern? Fischer? Viehzüchter? Halbnomaden? In welchen Behausungen lebten die Taurer? Darüber scheinen Archäologen bisher keine Aussagen treffen zu können.
Erst durch die Griechen (insbesondere Herodot) ab dem 5. Jh. v. Chr. ist uns ein Name überliefert: Chersones Taurike als Ortsbezeichnung und Tauroi als Name für die Bewohner der südlichen Krim. Wie die Bewohner sich selbst nannten oder welche Sprache sie hatten, wissen wir nicht.
SKYTHEN: Reiternomaden, gefürchtete Bogenschützen und Krieger, Viehzüchter, begnadete Goldschmiede und Kunsthandwerker, mit einer Vorliebe für Stutenmilch. Sie bewegten sich mit ihren Wagen, Zelten und Viehherden in der gesamten Eurasischen Steppe. Wie bei Nomaden üblich legen sie weite Strecken zurück, die nicht unbedingt mit einem “Herrschaftsgebiet” in unserer modernen Bedeutung übereinstimmen muss. Im Norden der Krim wurden Gräber aus dem 7. Jh. v. Chr. gefunden, die der “Skythischen Kultur” zugeordnet werden können, gleichsam findet sich in einem Grab ein Keramikgefäß, das in Griechenland hergestellt wurde, jedoch einen skythischen Tierstil aufweist. Man kann daher annehmen, dass es zwischen Griechen und Skythen schon länger kulturellen Kontakt gegeben haben muss. Erst im Laufe der nächsten Jahrhunderte gab es Skythen, die auf dem Gebiet der Krim blieben und weiter in den Süden zogen.
Wer sind die Skythen? Wie sie sich selbst nannten weiß man nicht. Man weiß auch nicht, ob sie in “Klanen” und “Stämmen” organisiert waren oder in hierarchisierten Verbünden oder in egalitären Verwandtschaftsgruppierungen durch die Weidegründe zogen. Skythen ist ein Sammelbegriff der Griechen für alle Reiternomaden aus der Steppe nördlich der persischen Reichsgrenze; Perser nannten diese Saka.
Besichtigungstipp: auf dem Gebiet des heutigen Simferopol, Hauptstadt der Krim, liegt die ausgegrabene Festung der “späten Skythen” (etwa 3.Jh.v.Chr.). Damals hieß die Festung Neapolis, griech. für ‘Neue Stadt’ und war wohl noch 600 Jahre lang die Hauptstadt des durch die Spätskythen kontrollierten Gebietes, das sich fast über die ganze Krim zog.
GRIECHEN: Ab 630 v. Chr. wurden im Osten und Westen der Krim griechische Stadtkolonien gegründet, die untereinander nur lose verbunden waren und als Handelsknotenpunkte für den Handel in der Region um das Schwarze Meer fungierten.
Noch heute kann man die antiken Überreste einer solchen griechischen Kolonie in Sewastopol sehen. Diese wurde im 5. Jahrhundert v. Chr. mit dem Namen Chersones gegründet. Es wurde Wein und Getreide angebaut und Handel mit Skythen und Tauren betrieben. So wie die Ukraine in sowjetischen Zeiten als “Kornkammer der Sowjetunion” galt, war die Krim in der Antike die “Kornkammer Athens”.
Bosporanisches Reich: Ausgehend von den griechischen Städten im Osten der Krim entwickelte sich das Bosporanische Reich unter der Führung Pantikapaions (dem heutigen Kertsch), das sich auf die Küstengebiete des Kaukasus ausdehnte.
Kriegerische Auseinandersetzungen oder Zusammenfluss von Kulturen?
Grabbeigaben griechischer und skythischer Herkunft könnten als Hinweis auf die Bedeutung der Krim als Begegnungsort zwischen Skythen und Griechen dienen. Auch Griechen und Taurer hätten zur Zeit Herodots und später friedlich zusammengelebt. Sogar gemeinsam benutzte Friedhöfe habe die Archäologie entdecken können. Im 4. Jh. v. Chr. arbeiteten Keramik- und Metallwerkstätten in den Städten des Bosporanischen Reiches für Mitglieder der skythischen “Elite”. Es entstanden viele Objekte, die sowohl griechische als auch skythische Stilelemente präsentieren und für die ‚griechischen‘ Kolonialstädte eine gemischte Bevölkerung nahelegen. Man kann auch annehmen, dass das Bosporanische Reich, das sich von Kertsch auf die Kaukasusregionen auf der anderen Seite des Asowschen Meeres ausdehnte, einen kulturellen Austausch und Migration mit der im Kaukasus lebenden Bevölkerung begünstigt hat.
Überfälle der Taurer auf die Griechen habe es erst ab dem 3. Jh. v. Chr. gegeben. Auch die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Spätskythen, fallen in diese Epoche. Ein möglicher Grund dafür könnte das Vorrücken anderer Nomadenverbünde aus der eurasischen Steppe sein. Auch für diese haben Griechen und Perser einen Sammelbegriff: “Sarmaten”.
Krim – Heimat von Werwölfen und Amazonen
Ja, richtig gelesen! Werwölfe und Amazonen. Für die Griechen der Antike lag die Krim weit abseits ihrer “bekannten Welt”, sie war eine Übergangszone zwischen (hellenischer) Zivilisation und der “Wildnis”. Geschichten von seefahrenden Händlern und Matrosen werden sich verbreitet haben, Mystisches wurde hinzugedichtet. Und so findet sich auf der Krim allerlei Wunderliches…
Herodot, der sich an einer Ethnographie der Krim versucht, schreibt über das Volk der “Neuren”, die mit Magiern zusammenleben sollen:
die Scythen nemlich und die im Scythenland wohnenden Hellenen erzählen, dass einmal in jedem Jahr ein Jeder von den Neuren ein Wolf wird auf wenige Tage und dann wiederum seine frühere Gestalt annimmt. Dieser Angabe nun kann ich keinen Glauben schenken; nichtsdestoweniger aber behaupten sie es und betheuern es durch einen Eidschwur
Herodotus IV, 10
Hier im Schwarzmeerraum verortet er auch die furchteinflößenden mystischen Kriegerinnen, die seither unsere Phantasie beflügeln: die Amazonen. Er beschreibt sie als Reiterkriegerinnen mit skythischem Dialekt, die einen eigenen Staat gegründet haben sollen.
Am faszinierendsten ist, dass im gesamten Verbreitungsgebiet der Skythen tatsächlich eine große Anzahl von Kriegerinnen-Gräber freigelegt wurden. Frauen mit Kriegerausrüstung, stattlicher Anzahl von Waffen und herrschaftlichen Grabbeigaben wie Schmuck und Gefäße aus Gold.
Von Steppenkriegern und Höhlensiedlungen – frühes Mittelalter
Nachdem in den vergangenen Jahrhunderten die Römer auf der Krim Stützpunkte gebaut hatten, Sarmaten, Hunnen, Goten, Alanen und andere Reiterstämme aus den östlichen und zentralasiatischen Steppen auf die Krim geströmt sind und sich niedergelassen haben, hat sich eine polyethnische Bevölkerung herausgebildet.
Das Mittelalter – von etwa 6.Jh. n. Chr. bis ins 13. Jahrhundert ist die Zeit der Berg- und Höhlensiedlungen im Südwesten der Krim (in der Nähe Sewastopol), die wirklich beeindruckendes Besuchererlebnis sind.
Dazu gehört beispielsweise das Hochplateau Eski Kermen, das über 600 Höhlen aufweist, die über mehrere Jahrhunderte von verschiedenen Kulturgruppen bewohnt wurden. Auch auf dem Mangup Kale, wo man die historische Hauptstadt der Krimgoten vermutet, oder Inkerman in Sewastopol finden sich beeindruckende Höhlenwohnungen und Felsenfestungen.
Chasarisches Khaganat. Ab etwa dem 7. Jh.n.Chr. waren weite Teile der Krim zughörig zum Chasarischen Khaganat, das sich über südukrainische sowie südrussische Steppe über den Kaukasus hinaus ausdehnte. Chasaren waren ein (“ursprünglich”) nomadisches Turkvolk aus den zentralasiatischen Steppen, die ab dem 8. Jh. die jüdische Religion annahmen. Mitte des 9. Jahrhundert herrschte der Khagan über etwa 25 Stammesverbände mit unterschiedlichen Sozial- und Wirtschaftsstrukturen. Das Chasarische Khaganat unterhielt enge Beziehungen mit Byzanz.
Kiewer Rus’ – ein kurzes Intermezzo. Im 10. Jh. setzte sie sich gegen das Chasarische Kaghanat durch und kontrollierte ein System von Wasserstraßen, über die Fernhandelsgüter aus dem Schwarzmeergebiet in den Ostseeraum gelangten. So wurden die Rus’ (Waräger) allmählich zum dominanten Bündnispartner von Byzanz. Doch kam es 989 zur Eroberung von Cherson (Sewastopol) durch den Fürsten Vladimir, der sich aus politischen Gründen dort christlich taufen ließ und die Schwester des Kaisers von Konstantinopel heiratete.
Dieses Ereignis hatte jedoch nicht eine Machtausübung der Rus auf die Krim zur Folge. Denn Vladimir zog sich kurz nach der Eroberung wieder aus der Stadt zurück. Aus der Geschichte sind keine ernsthafte Bemühungen für eine nachhaltige Machtübernahme in der Stadt und ihrem Umland nachweisbar.
Stattdessen brach ein weiterer “Steppensturm” von Reiternomadenverbünden über die Gebiete der Kiewer Rus und später über die Krim herein.
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Epoche der Nomadischen Reitervölker: 12.-15. Jahrhundert:
Das Reitervolk der Kiptschaken (auch Kumanen oder Polowzer genannt), wie die vorherigen ein turksprachiges Nomadenvolk aus den zentralasiatischen Steppen, gewann die Oberhand über Teile Südrusslands, nördlichen Kaukasus und die Krim.
Besichtigungstipp! Historische Festung Chufut-Kale, 2,5 km östlich von Bachtschissaraij
Unter der Herrschaft der Kiptschaken war sie als Kyrk-Er bekannt, was ‚Vierzig Orte‘ bedeutet. Jahrzehnte später wurde sie durch Mongolen (Goldene Horde) erobert und war Zentrum eines kleinen Fürstentums in Abhängigkeit des durch die Mongolen etablierten Khanats.
Sie war vor allem auch die Hauptsiedlungsstätte der Karaimer, von denen man annimmt, dass sie die Nachfahren der Chasaren sein könnten. Karaimer üben eine jüdische Religionsrichtung aus, die sich ausschließlich auf die Heilige Schriften stützt und alle nachbiblischen jüdischen Traditionen (Talmud) ablehnt. Ihre Sprache setzt sich aus Elementen verschiedener westtürkischer Sprachen zusammen, ist also eng mit dem Krimtatarischen verwandt. Ihre Grabsteine hatten die Form eines Pferdesattels mit einer karaimischen Inschrift in hebräischen Schriftzeichen. Chufut-Kale heißt in der Krimtatarischen Sprache: “Judenfestung”.
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Noch mehr “Multi-Kulti”: 3 neue Mächte etablieren sich auf der Krim
Besichtigungstipp Mangup Kale, Hier war das Zentrum des Fürstentums Theodoro, das sich im 13. Jh. herausbildete. Die Felsenstadt selbst bestand schon seit dem 6. Jahrhundert, stand seitdem fast ununterbrochen unter byzantinischer Herrschaft. Wie die krimtatarische Chronik Umdet ül-ahbar (13. Jh.) berichtet war die Bevölkerung multiethnisch: Nachfahren der Krimgoten, Griechen, Armenier, Alanen, Krim-Karaimer und turksprachige Nachfahren der Steppenreiter lebten hier.
Theodoro entwickelte sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter der Regierung des griechischstämmigen Alexios zum dritten Machtzentrum auf der Halbinsel – neben Genua und dem aufstrebenden Krim-Chanat. Zu dem Fürstentum Theodoro gehörten umliegende Siedlungen sowie die Hafenstadt Calamita (Inkerman) mit angrenzendem Küstengebiet.
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Italien ahoi! Genuesische und Venezianische Kolonialstädte auf der Krim.
Mitte des 13. Jh. entschlossen sich die Seerepubliken Venedig und Genua das Schwarze Meer und seine Ressource als Handelsknotenpunkt zu erschließen. Sie bekamen die erforderliche Ansiedlungserlaubnis des tatarischen Khans der Krim (was jährliche Tributzahlungen beinhaltete). So wurde Sudak 1253 Venezianische Handelsstadt. Feodossija (Caffa) und Aluschta gehörten als Kolonien zur Handelsmacht Genua, und nur wenige Jahrzehnte später fiel auch Sudak an die Genuesen.
Das Fürstentum Theodoro war mit seiner Hafenstadt Inkerman ein ernst zunehmender Konkurrent für die Genueser, so kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den beiden Küstenmächten. Das heutige Balaklawa, das zunächst zum Fürstentum Theodoro gehörte, wurde von Genua streitig gemacht. Ab 1345 gehörte es als “Cembalo” mit den angrenzenden Küstengebieten zur Genuesischen Handelsmacht.
Zentraler Angelpunkt dieser neuen Machtposition Genuas war Caffa (Feodossija), bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts muss die Stadt eine der größten im Schwarzmeerraum gewesen sein, so nach einem Bericht eines osmanischen Reisenden, und war von einer großen kulturellen Vielfalt geprägt.
Besichtigungstipp! Das genuesische „Imperium“ im Schwarzen Meer hielt sich rund zweihundert Jahre. Noch heute sind Festungen zu besichtigen, v.a. die in Sudak und Feodossija sind sehr beeindruckend!
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Die Epoche des Krimkhanat der Krimtataren
Das Khanat der Krimtataren bildete sich aus dem Khanat der Goldenen Horde heraus, das im 14. Jahrhundert in mehrere kleinere Khanate zerfiel. Das einflussreichste davon war das Krim-Khanat, das dem wachsenden Moskauer Reich, später Russischen Zarenreich, ein ernstzunehmender Konkurrent war. So kam es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu gegenseitigen Überfällen und Eroberungsversuchen. Doch nicht alle Kontakte waren kriegerischer Natur. Häufig fungierten die Khane auch als Mittler zwischen dem Kreml und der Regierung des Osmanischen Reiches, zu welchem das Krim-Khanat ab 1478 in einem besonderen politischen Verhältnis stand.
Besichtigungstipp! Bachtschissaraij mit dem Khanpalast, das Museum zur krimtatarischen Geschichte und die umliegende Felsenlandschaft mit dem Uspenski-Felsenkloster und der historische Festung Chufut-Kale.
Wie sah das kulturelle Leben im Krim-Khanat aus?
Die Auswertung von historischen Quellen zeigt auch für diese Epoche ein Multi-kulturelles und Multi-religiöses Miteinander, wodurch wiederum neue kulturelle Formen entstanden. Andere Religionen wurden durch die muslimische Herrschaft toleriert, zogen diese doch durch höhere Steuersätze für Nicht-Muslime auch einen finanziellen Vorteil.
Trotzdem fand ein natürlicher Akkulturationsprozess statt, zum einen im Bereich der Sprache, da die tatarische Sprache (das Ergebnis der Verschmelzung der verschiedenen turksprachigen Steppennomaden der vergangenen Jahrhunderte) den Alltag in der Multikulturellen Gesellschaft dominierte. Auch Kleidungstile passten sich immer mehr dem “orientalischen” Vorbild des Osmanischen Reiches an und es entwickelten sich neue Stile. Aufgrund der geringeren Steuern nahmen im 16. Jh. viele den muslimischen Glauben an.
Nomadische Nogai-Tataren im Norden, sesshafte Krim-Tataren im Süden
Seit dem 15. Jh. zogen immer wieder Verbände von turksprachigen Steppennomaden aus Zentralasien in den Westen und auf die Krim. Dazu zählen die Nogai-Tataren, deren Sprache dem Kasachischen sehr ähnlich ist. Der Khan hatte nur eingeschränkte Macht über die (halb-)nomadischen Verbände im Norden, die sich nicht in die Verwaltungsstrukturen des Khanat einbinden ließen.
Noch bis weit ins 19. Jh. lebten die Tataren der nördlichen Steppen teilweise nomadisch. Mit ihren aus der Weidewirtschaft produzierten Waren handelten sie mit den sesshaften Krim-Tataren aus dem Süden, die sich vorrangig dem Handel, Handwerk oder dem Wein-, Tabak- oder Obstanbau widmeten.
18. Jahrhundert: Katharina die Große – russische Eroberung der Krim
Eine einschneidende Wende kam im 18. Jahrhundert als sich der Russisch-Osmanische Konflikt zuspitzte, wollte doch das Russische Reich sich den Zugang zum Schwarzmeerhandel sichern. Es kam in der ersten Hälfte des 18. Jh. zum ersten Russisch-Osmanischen Krieg, der für die Krim bedeutende Verluste (Niederbrennen des Khanpalastes mit dort verwahrten krimtatarischen Schrifttums sowie verheerende Zerstörung in den Küstenstädten) brachte.
Nachdem 1772 das Krim-Khanat unter Russischem Protektorat stand, das u.a. Katharina II. erlaubte Khane ab- und einzusetzen, erfolgte 1783 die vollständige Annektierung der Krim.
Nachdem im Russisch-Osmanischen Krieg viele Christlich-Orthodoxe in benachbarte Reiche flohen, emigrierten nun viele Krimtataren ins Osmanische Reich.
Die Krim wurde im Laufe der nächsten Jahrzehnte zu einer vielbesuchten Insel, was unter anderem der Begeisterung Katharina der Großen sowie unzähliger Reiseberichte europäischer Reisender, die das “Exotische”, Orientalische”, “Zauberhafte” herausstellten, zu verdanken war. Die Südküste der Krim mit ihren schönen Stränden wurde zur Sommerresidenz von russischen Adligen, Schriftstellern und Künstlern. Insbesondere Jalta wurde zum Touristenmagneten und bedeutenden Kurort mit prächtigen zaristischen Bauwerken. Sewastopol dagegen wurde als Hafen- und Garnisonsstadt angelegt, wo davor eine kleine krimtatarische Siedlung namens Ak-Jar gewesen war.
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Entstehung des modernen Gesundheitswesens, Bevölkerungswechsel und Reform-Islam
Ein weiterer tiefer Einschnitt war der Krimkrieg (1853‒1856) zwischen dem Russländischen Reich und den Alliierten (Briten, Franzosen, Osmanisches Reich, gegen Ende auch Sardinien- Piemont), der zwar nicht ausschließlich auf der Krim geführt wurde, sondern viele Schauplätze hatte, dennoch waren die Auswirkungen verheerend. Es kam zu weitreichender Zerstörung von Städten (insbesondere Sewastopol als Militärstützpunkt war ein Trümmerhaufen), unzähliger Kriegsopfer und Versorgungsengpässen. Gerüchte von geplanten Umsiedlungen von Krimtataren (die es teilweise gab) und die bekannte ablehnende Haltung des amtierenden Zaren gegenüber Tataren führte zu einer weiteren Auswanderungswelle aus Angst vor Repression.
Nach dem Krimkrieg hatte die Halbinsel fast vierzig Prozent ihrer Bevölkerung verloren. Es folgte eine gezielte Ansiedlung von slawischen, bulgarischen und deutschen Siedlern um die verlassenen krimtatarischen Höfe zu bewirtschaften. Der Anteil von Krimtataren an der Bevölkerung im 19. Jh. betrug nur noch etwa ein Drittel.
Der moderne (industrialisierte) Krieg brachte auch eine Veränderung in der Krankenversorgung. Florence Nightingale, aus wohlhabendem britischen Haus, war während des Krieges als Krankenschwester in Scutari (bei Istanbul) tätig. Die Erfahrungen dort prägten sie. In der nachfolgenden Zeit sollte sie mit ihren Schriften, Studien und Engagement den Grundstein für unsere moderne Krankenpflege legen. Auch im Zarenreich gab es eine ähnliche Entwicklung, was den „Wohltätigen Schwestern des Ordens der Erhebung des Kreuzes“ und adligen Unterstützerinnen zu verdanken war.
Ende 19. Jh. konnte man im gesamten europäischen Raum verstärkte nationalistische Tendenzen beobachten. “Ethnische Zugehörigkeit” wurde durch politische Kräfte instrumentalisiert und Misstrauen geschürt, so auch in der russisch-zarischen Politik.
Die Beziehungen zwischen den NeusiedlerInnen und der ‚eingewurzelten‘ Bevölkerung auf der Halbinsel wurden davon wenig berührt: […] Insgesamt deuten Berichte der ZeitgenossInnen aber darauf hin, dass sich das Zusammenleben zwischen neuen und alten KrimbewohnerInnen – egal welcher Nationalität und Religion – überwiegend friedlich-pragmatisch gestaltete.
Jobst, 2020: S.198
Die europäischen Nationalisierungsdebatten hatten natürlich auch Auswirkungen auf kulturelle Minderheiten wie die Krimtataren. Fragen nach Wurzeln kultureller Identität und Zugehörigkeit in Verbindung mit Abgrenzung und Verteidigung gegen kulturelle Unterdrückung gewannen an Bedeutung.
Gasprinskij & der Jadidismus
Ismail Gasprinskij, Sohn von verarmten krimatarischen Edelleuten, war ein bedeutender Vertreter der modernen krimtatarischen (sowie panturkischen) kulturellen Identität… Seine Ausbildung in der Militärakademie in Moskau sowie seine anschließende journalistische Tätigkeit in Paris prägten ihn. Er war der Ansicht, dass sich der Islam reformiere müsse, sich die muslimische Bevölkerung dem westlichen Fortschritt, auch v.a. in Blick auf Bildung und Gleichberechtigung der Frau, öffnen müsse. Nur so könnten die Muslime im russischen Zarenreich als gleichberechtigte Partner anerkannt werden und der vollständigen “Russifizierung” entgehen.
1883 gründete er die bilinguale Zeitung Terjüman (Der Dolmetscher) – Russisch und von allen turksprachigen Gruppen verstehbares vereinfachtes Türkisch – welche über Wolga- und Kasantataren bis nach Zentralasien Verbreitung fand. Hier veröffentlichte er u.a. seine Ideen und die von ihm entwickelte neue Lernmethode. – Die Bewegung gewann schnell Anhänger und nannte sich “Jadidismus” = “Neue Methode”.
Im Jahre 1884 wurde auf seine Initiative hin in Bachčisaraj, wo er vordem einige Jahre als Bürgermeister tätig gewesen war, eine erste Reformschule gegründet, in der das Lesen und Schreiben nach dieser Methode genauso gelehrt wurde wie eine weltliche Bildung sowie die russische Sprache.
Jobst, 2020: S.231ff
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Düsteres Kapitel Sowjetunion: Entvölkerung der Krim
Krimtataren wurden mit der Zeit durch die zunehmende Ansiedlung von Russen und Ukrainern auf ihrem ehemaligen Herrschaftsgebiet zu einer Minderheit. Den größten Einbruch jedoch stellte die 1944 von Stalin durchgeführte Deportation der Krimtataren nach Usbekistan dar. Weil er ihnen Kollaboration mit den Deutschen vorwarf, wurden sie ihrer Existenzgrundlage beraubt und nach Usbekistan deportiert. Auf dieser beschwerlichen Reise, die einen Monat dauerte, starb über die Hälfte der deportierten Krimtataren an Krankheit oder Unterernährung. Dort wurde es ihnen verboten sich zu organisieren (weder kulturell noch politisch) oder ihre Religion auszuüben. Selbst nur im Rahmen eines Urlaubs auf die Krim zurückzukehren war unter Androhung einer Gefängnisstrafe verboten.
Aber auch die krimgriechische Bevölkerung (damals noch mehr als 15.000 Menschen) sowie die in zarischer Zeit ebenfalls von der Regierung bevorzugten Bulgaren und Armenier teilten dieses Schicksal.
Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war es den Krimtataren erlaubt auf die Krim zurückzukehren.
Den Krim-Karaimern blieb die Deportation erspart, doch wurde ihnen bis zum Ende der Sowjetzeit verboten sich zu organisieren, zu publizieren oder kulturell/religiös tätig zu werden.
1945 fand im Liwadija-Palast, Sommerresidenz des letzten russischen Zaren, die Konferenz von Jalta statt, wo die drei Alliierten über die Machtverteilung nach Beendigung des Krieges verhandelten. Hier wurde die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen besprochen.
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Krim der Gegenwart & Fazit
Um ehrlich zu sein, fällt es mir schwer etwas zur Gegenwart auf der Krim zu schreiben. Ich verbrachte 2007 und 2008 mehrere Monate auf der Krim, ich genoss die Gastfreundschaft der Russischen sowie der krimtatarischen Bevölkerung und tauchte tief in die Geschichte und Kultur der krimtatarischen Community ein, die mich und die anderen Teilnehmer-innen des Forschungsprojektes mit Herzlichkeit und Offenheit empfingen. Mit Freude, aber auch Wehmut, denke ich an die zahlreichen Gespräche, Veranstaltungen, aufkeimende Freundschaften und durchtanzten Nächte zurück. Genauso einprägsam waren die zahlreichen politischen Demonstrationen der verschiedenen politischen Akteure und die Debatten in den lokalen und russischen Medien. Die Entwicklungen in den Jahren 2014 und 2022 waren eigentlich schon damals abzusehen – ihr wirkliches Eintreten dennoch ein Schock.
Die Krim ist seit Jahrtausenden ein Siedlungsgebiet von zahlreichen kulturellen Gruppen gewesen, die miteinander handelten, in pragmatischer Koexistenz lebten, sich miteinander vermischten. Und immer wieder war sie auch ein Spielball in den Händen derjenigen, die noch mehr Macht, mehr Ressourcen, mehr Land ihr Eigen nennen wollen.
“Wem gehört die Krim – wer hat Anspruch?” – an sich schon eine falsche Frage.
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Empfehlenswerte Literatur
Kerstin S. Jobst. Die Geschichte der Krim. Iphigenie und Putin auf Tauris. DeGruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 2020. Die Historikerin versucht einen umfassenden Überblick über die gesamte Geschichte der Krim zu bieten. Dabei nimmt sie vor allem die Krim als mystischen Ort für die Narrative diverser Herrschaftsansprüche und Identitätserzählungen in den Fokus und gleicht sie mit historischen Fakten ab. Besonders anschaulich sind die “jüngeren” historischen Phasen, in denen sie historische Reiseberichte zu Wort kommen lässt.
Mischa Meier. Geschichte der Völkerwanderung: Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jh. n. Chr. Verlag C.H.Beck, München, 2019. Eine höchst spannende, wissenschaftliche und doch gut lesbare Lektüre zu der wohl zugleich spannendsten und geheimnisvollsten wie auch komplexesten Zeiten in der eurasischen Geschichte. Er verbindet prosaische Erzählung mit Erkenntnissen aus Archäologischen Ausgrabungen und der Analyse von schriftlichen Primärquellen zu einem imposanten Gesamtwerk. Anschaulich stellt er dar wie irreführend es ist von “Völkern” oder “Ethnien” zu sprechen, und was wir losgelöst von ideologisch gefärbten und symbolisch aufgeladenen Narrativen denn tatsächlich über die damaligen Ereignisse wissen können.
Andreas Kappeler. Russland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall. Verlag C.H.Beck, München, 4. Auflage. 2022. Ein Standardwerk der Osteuropäischen Geschichte! Der Historiker legt den Fokus v.a. auf die verschiedenen nicht-russischen Völker und Reiche, die nach und nach zunächst in das Russische Zarenreich, später in die Sowjetunion eingegliedert wurden und welch politischen Strategien gegenüber “den Anderen” gefahren wurden. Sehr anschaulich, mit Bezug auf Primärquellen und vielen Karten und Bildern.
Brian Williams. The Crimean Tatars: The Diaspora Experience and the Forging of a Nation. Brill Academic Publication, 2001. Ein umfassendes, detailliertes Werk über die Geschichte der Krimtataren.
Mieste Hotopp-Riecke. Zwischen Auflösung, Konsolidierung und Anerkennung: Die Karaimen/Karäer im 21. Jahrhundert. In: Europa Ethnica 68 (S.97-105), 2011.
Weiterführende Links zu Krim in der Gegenwart:
Das Multimedia-Dossier Archipel Krim ist ein Kooperationsprojekt zwischen dekoder.org, dem Zentrum für Osteuropa und internationale Studien in Berlin (ZOiS) und der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.
Wissenschaftliche Literatur zu Krim im Mittelalter (PDF-Format):
Annika Stello. Grenzerfahrung. Interaktion und Kooperation im spätmittelalterlichen Schwarzmeerraum. Inaugural-Dissertation, Universität Trier. 2011. Ziel der Arbeit ist die Erforschung des Zusammenlebens unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im multikulturellen Schwarzmeerraum des späten Mittelalters, v.a. im genuesischen Caffa (Feodossija).
Stefan Albrecht & Michael Herdick. Ein Spielball der Mächte: Die Krim im Schwarzmeerraum (VI.-XV.Jahrhundert). In: DIE HÖHLENSIEDLUNGEN IM BERGLAND DER KRIM. Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Band 113. (S.25-56).
Wissenschaftliche Literatur zu Krim in der Antike (PDF-Format):
Karl-Konrad Tschäpe. Herodot und die Krim. Fokus Osteuropa. Studentische Beiträge zur Kulturwissenschaft, Frankfurt an der Oder, 2010.
Marina Unger. Die Griechische Kolonisation des Schwarzen Meeres–Ein Überblick. Zur Aktualität der ethnischen Deutung. Projekttutorium 2008.
Ottmar Jäggi, kritische Auseinandersetzung mit dem Begleitband zur archäologischen Ausstellung “Krim. Goldene Insel im Schwarzen Meer“, 2015.
Ellen Kühnelt. Terra Siggilate aus Alma Kermen, Südwest Krim. Dissertation. Uni Rostock. 2008.