Home Travel Suzani, Ikat und das Erbe der Familie

Suzani, Ikat und das Erbe der Familie

by


Ein Spaziergang der Sinne auf den Basaren Usbekistans – über das glanzvolle Erbe vergangener Jahrhunderte und wie Kunsthandwerk als nationale Marketingstrategie genutzt wird…

Usbekistans Bazare sind eine Freude für alle Sinne: der Duft von dutzenden Gewürzen in Bergen aufgetürmt dargeboten durchzieht die schmalen Gänge. Menschen drängen sich in Massen aneinander vorbei. Manche balancieren heiße wohlduftende Speisen auf Tabletts über ihren Köpfen. Seide weichfließend gleitet durch meine Finger, samtig weiche Stoffbahnen – die goldenen Stickereien heben sich zart hervor, während Stimmengewirr und musikalische Klänge die Luft erfüllen.

Glanzvolles Erbe vergangener Jahrhunderte

Ausdrucksstarke Farben, florale und geometrische Muster sowie arabische kalligraphische Motive – nicht nur die Moscheen ein kunsthistorischer Hingucker sondern auch Keramik, Textilien, Stahl- und Holzobjekte. Viele der Techniken und Muster haben die Zeiten überdauert – oder werden von neuem aufgegriffen und dem modernen (touristischen) Geschmack angepasst.

Zentralasien, usbekische Handwerkskunst
Usbekische Handwerkskunst
Töpferkunst

Es finden sich nicht nur arabische und persische Einflüsse: Unter Timur (1336-1405) und seinen Nachkommen erlebte Zentralasien eine kulturelle Blütezeit. Timur hatte ein Großreich geschaffen, das im Westen bis nach Anatolien reichte und im Osten bis nach Indien. Zum Bau von Shaxrisabz und Samarkand ließ er Handwerker, Künstler, Architekten und Wissenschaftler aus den eroberten Gebieten ins Zentrum seines Reiches bringen.

Die Städte auf heutigem usbekischen Boden waren schon viele Jahrhunderte vor Zeiten Timurs (1336-1405) oder Marco Polos (1254 – 1324) in das Handelsnetzwerk der Seidenstraße eingebunden. Sie galten als die Handels- und Handwerksmetropolen ihrer Zeit. Nomadische Reiterstämme, die zum Tausch in die Städte kamen, Händler aus den Regionen des heutigen China, Indien, Kaukasus, Türkei und Iran, die ihre Waren feilboten.

Dadurch entstand ein einzigartiger Mix an Stilen und Handwerkstechniken.

*

Bedeutung von Handwerk für die soziale Organisation

Wie organisiert sich eine Gesellschaft um anfallende wichtige Aufgaben zu erledigen? Auf welche Weise kann man einen gemeinsamen Wertekanon etablieren? Wie lassen sich Kinder oder neue hinzugezogene Personen in die schon bestehende Gemeinschaft integrieren?

Ein Blick in Geschichte…

Handwerksvereinigungen wie Zünfte oder Gilden (in islamischen Gebieten asnaf genannt) machten einen Großteil der sozialen Struktur in Zentralasien aus. Ob es solche schon in der Zeit Timurs gab, ist zwar nicht gesichert, kann man jedoch annehmen.
Aus dem 19. Jahrhundert gibt es Quellen, die über die zentralasiatischen Handwerksgilden berichten: Es gab verschiedene Ämter, deren Vertreter gewählt wurden und die unterschiedliche Aufgaben in ihrer Gilde wahrnahmen. Die jeweiligen Gilden waren auch für Aufgaben innerhalb der Stadt zuständig: Sie stellten einen bewaffneten Trupp für den Verteidigungsfall, warteten Straßen und Wasserleitungen und verantworteten die Pflege des waqf-Eigentums. (Krebs, 2011: 63-64)

Buchara war die Handwerksmetropole schlechthin: um 1900 soll es 57 Stadtviertel der verschiedenen metallverarbeitenden Handwerke, 51 Weberviertel und 31 Viertel der Juweliere gegeben haben, wobei ein Viertel bis zu 60 Familien umfasste! (Vgl. Krebs, 2011: 62 f.) Die Werkstätten wurden von einem usto (Meister) geleitet, zu dessen Aufgaben die Erziehung und Ausbildung von Lehrlingen (shogird) gehörte, welche meist aus der eigenen Familie oder dem näheren sozialen Umfeld kamen. Die Ausbildung begann in der Regel im Alter von 7-9 Jahren. (Vgl. Krebs, 2011: 61)

Chiva: seit dem 10. Jh. bedeutende Handelsstadt der Seidenstraßen, zählt heute zu UNESCO Weltkulturerbe
Chiva: seit dem 10. Jh. bedeutende Handelsstadt der Seidenstraßen, zählt heute zu UNESCO Weltkulturerbe

Handwerk als Familienerbe

Auch heute ist es oft so, dass Design und Technik der Produktherstellung von Generation zu Generation innerhalb einer Familie weitergegeben werden. Das gilt insbesondere für suzani, zu der alle Formen der usbekischen Seidenstickerei (Tücher, Wandbehänge, Laken, Tischdecken…) gehören. Früher wurden die suzani von den Frauen in einem Haushalt fast ausschließlich für den Eigengebrauch hergestellt, da sie beliebte Gaben für die Aussteuertruhe waren.  Es gab (und gibt heute noch) eine Vorzeichnerin der Muster, eine so genannte qalamqesh oder chismakash. Und auch während meiner Aufenhalte waren Kleidung und suzani die Haupt-Gabentausch-Objekte bei Eheschließungen.

Nach Shamukhitdinova & Adelt ist die usbekische Großfamilie nun die Grundlage für den gegenwärtigen Trend der Wiederbelebung alter Handwerkstechniken (denn im Zuge der Industrialisierung und später Sowjetisierung ging viel handwerkliches Know-how verloren). Das Wissen um textile Praktiken werde wie ein Betriebsgeheimnis gehütet und nur innerhalb der (Groß-)Familie weitergegeben. Gerade auch Frauen profitierten davon und könnten so in Regionen mit hoher Arbeitslosenquote ein gutes Einkommen erzielen. (Shamukhitdinova & Adelt, 2013: 3)

*

Die soziale Bedeutung von Kunst, Kleidung und Handwerk 

Doch textile Handwerkskunst hat nicht nur eine wirtschaftliche sondern auch eine große soziale Bedeutung. Mit Kleidung wird ein (gewünschter oder tatsächlicher) gesellschaftlicher Status offen zur Schau gestellt. Besondere Kleidung wird genutzt um einen Statuswechsel zu symbolisieren: zB das weiße Kleid am Hochzeitstag;  oder eine Kopfbedeckung, die Aussage über den Familienstand (ledig; verheiratet; verwitwet) trifft. Kleidung kann als Provokation dienen oder als Mittel um zu zeigen, dass man zu einer bestimmten Gruppe oder Gemeinschaft gehört – oder dazugehören möchte.

Kleidung ist also ein Identitätssymbol – eine „soziale Haut“ (Turner, Terence, The Social Skin, 1980)

Hochzeits-duppi für Frauen auf Ikat-Seide
weibliche Kopfbedeckung (duppi) für Hochzeit auf Seiden-Ikat

*

Kunst und Kleidung als Teil des ‚Nation-Branding‘

Manch einer mag sich nun fragen: Was ist Nation-Branding?
Unternehmensbranding ist bekannt: darunter versteht man das Schaffen eines öffentlichen – einheitlichen, bis ins kleinste Detail abgestimmte – Image eines Unternehmen um es zu einer “Marke” zu machen. Der Kunde soll bestimmte Werte und Gefühle mit den angebotenen Produkten verknüpfen. Ziel: der Konsument soll so eine enge Bindung und Vertrauen zum Unternehmen aufbauen, dass er die Produktpalette dieses Unternehmens der Konkurrenz vorzieht.

Viele Staaten (Regierungen) haben sich dieses Konzept zunutze gemacht um das Unternehmen “Unser Nationalstaat” zu fördern und das Produkt “unsere nationale Identität” gewinnbringend zu verkaufen.

Marketing für den Nationalstaat

Das Kunsthandwerk bietet sich geradezu dazu an als symbolischer Träger einer nationalen Identität zu fungieren. Nationalmuseen mit „ursprünglichem“ kulturellen Gut aus historischen Zeiten, Werbeplakate und Info-Tafeln sowie Briefmarken mit historischen Objekten schaffen die Illusion einer Zeitlinie, die das Jetzt mit dem Damals verbindet und so der heutigen Nation Legitimität verschafft. Usbekistan nutzt diese Technik auf geradezu meisterhafte Weise um diese Legitimität wie auch ein nationales Bewusstsein in der multi-ethnischen Bevölkerung zu schaffen. Dass es die usbekische Nation so in der Vergangenheit nie gegeben hat, spielt dabei keine Rolle. (Mehr zum Nationbuildingprozess in Usbekistan und seinen Widersprüchen auf Novastan)

Mode und Handwerk werden so zu einem Objekt strategischer kultureller Planung: einer nationalen Marketingstrategie und „Selbst-Orientalisierung“. Einerseits möchte man dadurch den modernen Nationalstaat legitimieren, indem man ihn mit einer historischen Zeitlinie voller Ruhmreicher Aktivität verbindet, andererseits ist es die Antwort auf den vielversprechenden wirtschaftlichen Markt des Tourismus. (Vgl. Mentges, 2017: 57 f.)

Denn was verkauft sich besser als das exotische Label “Seidenstraße” ?

Usbekistan Nationalmuseum Bau-Kunst und Nationales Marketing
Nationalmuseum in Taschkent, in Form einer historischen Reiternomadenmütze

*

“Kulturdiktatur” in der Sowjetunion

Doch Kleidung und (Handwerks-)Kunst als symbolischen Träger einer nationalen Identität zu sehen ist keinesfalls neu. Dies war Teil der Sowjetideologie: zuerst das Schaffen von Nationen mit ganz eigenen kulturellen Merkmalen – dann der Übergang zum “modernen Sowjetmenschen“.
In der Zeit der Sowjetunion leitete Stalin in den 1940ern mit seiner Kulturpolitik eine „Kanonisierung nationaler Kulturtraditionen“ ein. Es wurde entschieden was Teil der „usbekischen Nationalkultur“ sei und was nicht. Dem zu Grunde lag der Gedanke, dass Kultur ein einheitlicher Ist-Zustand ist, der die Zeiten überdauert, bzw. sich in (evolutionären) Stufen weiterentwickelt. Design und Produktion von Textilien und anderer künstlerischer Ausdrucksformen wurden daher standardisiert. Traditionelle Textilkunst wie Ikat, Suzani und die Kopfbedeckungen Duppi wurden als Inbegriff der nationalen Identität hochstilisiert und durch Gründung von Akademien, Gewerkschaften und Handwerksschulen gefördert. Kreativität und Innovation stattdessen unterbunden. (Vgl. Baldauf, 2007: 109f.; Krebs, 2011: 84f.)

Im Gegensatz zur Sowjetzeit ist Innovation heute nun erlaubt, ja sogar erwünscht. Es gibt eine Vielzahl junger Designer/innen, die mit Stilmixen, traditionellen Stoffen, Mustern aber auch mit historischen und (fast) in Vergessenheit geratenen Herstellungsprozessen experimentieren. Denn so ganz konnte die sowjetische Kulturpolitik das in Familien bewahrte Wissen nicht auslöschen.
So zum Beispiel wurde die Handwerkskunst des bakhmal-Webens durch den Designer Rasuljon Mirzaahmedow, der zu einer Familie mit langer Kunstfertigkeit im Ikat-Weben gehört, wiederbelebt (Mentges, 2017: S.33)
Auch gibt es viele Kooperationen mit Designern aus Indien, teilweise auch unter der Schirmherrschaft der UNESCO gefördert um natürliche Färbe- oder traditionelle Webtechniken wieder zu erlernen (Mentges, 2017: S.54-55).

Die Erfindung von Tradition

Die Verwendung des Begriffs „traditionell“ darf hier nicht als exakte Wiedergebung historischer Kleidungsstile gesehen werden sondern als eine Neuinterpretation davon. Nicht nur die Form oder Herstellung sondern auch die soziale Bedeutung von Textilien kann sich im Laufe der Zeit wandeln. So wurden z.B. Kleidungsstücke aus ikat bis ins 20. Jh. von Frauen, Kindern und von Männern getragen. Während der Sowjet Ära wurdeikat jedoch zum ausschließlichen Frauen-Textil mit Farben, die als „weiblich“ gelten. Nun ist es aus dem Kleiderschrank der usbekischen Frauen nicht mehr wegzudenken und gilt als das usbekische Frauenkleidungsstück schlechthin. (Vgl. Shamukhitdinova, 2017: 140 f.)

Ein weiteres Beispiel sind die Kopfbedeckungen duppi: Vor dem 20. Jh. Haben nur Kinder und Jugendliche diese getragen – Erwachsene – sprich verheiratete Personen – nur in Verbindung mit anderen Elementen: mit Schal/Schleier für Frauen und mit Turban oder Kopfband für Männer (Shamukhitdinova, 2017: 154 f.). Heute sind sie eine beliebte Kopfbedeckung für alle und sind wie ikat und suzani zum usbekischen Nationalbekleidungsstück hochstilisiert worden.

Dive Into Culture wünscht viel Freude beim Bummeln auf usbekischen Basaren!

Kunst in Usbekistan, historischer Basar
Basar in Buchara

Die Basare von Buchara, Chiwa, Samarkand und Shaxrisabz sind ein Hochgenuss der Sinne, da sie im historischen Setting ein einzigartiges Flair verströmen.

Taschkent hat diesen Flair aufgrund von Bausünden und dem verheerenden Erdbeben von 1966 leider verloren – hat aber in Hinsicht moderner (Theater- und Textil-) Kunst einiges zu bieten. Selbst die Taschkenter Metro ist ein Augenschmaus! Fotografieren ist jedoch verboten, da es sich um ein militärisch wichtiges Bauobjekt handelt, das sich im Notfall zum Atom-Bunker verriegeln lässt


Literaturhinweise:

Baldauf, Ingeborg
2007 Tradition, Revolution, Adaption. Die kulturelle Sowjetisierung Zentralasiens. In: M. Sapper, V. Weichsel, A. Huterer (Hrsg.): Machtmosaik Zentralasien. Traditionen, Restriktionen, Aspirationen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Bd. 656.

Krebs, Melanie
2011 Zwischen Handwerkstradition und globalem Markt : Kunsthandwerker in Usbekistan und Kirgistan. Berlin: Klaus Schwarz Verlag.

Lola Shamukhitdinova und Svenja Adelt
2013 Die Wiederbelebung zentralasiatischer textiler Handwerkstechniken im Prozess der Nationenbildung in Usbekistan, Zentralasien-Analysen, 72

Mentges, Gabriele; Shamukhitdinova, Lola (Hrsg.)
2017 Textiles as National Heritage: Identities, Politics and Material Culture. Case studies from Uzbekistan, Kazakhstan, Algeria and Peru. Münster, New York: Waxmann Verlag.

You may also like

Leave a Comment